In der Zeit, als ich mit meinen Ängsten zu kämpfen hatte, habe ich versucht, nach jedem Strohhalm zu greifen, den ich fand. Wenn man selbst nicht einordnen kann, was mit einem geschieht, dann ist ein logischer Schritt, sich Hilfe zu holen. Genau das habe ich getan. Der erste Ansatz war, zu meinem Hausarzt zu gehen. Ich hatte die Hoffnung, dort die Hilfestellung zu bekommen, die ich mir wünschte, um meine Angstzustände zu besiegen. Außerdem war es mir wichtig, zu erfahren, warum andauernd diese Ängste und Panikattacken auftraten. Zunächst wurden sämtliche historische Themen abgefragt.

„Die Quelle der Angst ist der Wunsch nach Besitz, gepaart mit dem Gedanken etwas nicht besitzen zu können.“ Robert D. Hülsmeyer

Hülsmeyer, Robert Dominic.

Er fragte mich nach der Familie. Da meine Mutter und Großeltern von ständiger Depression und Angst heimgesucht wurden, berichtete ich ihm davon. Für ihn war in diesem Moment klar, dass es einen erblichen Hintergrund geben könnte. Ich erzählte auch von meinen anderen Symptomen. Dazu gehörten ständiges Schwitzen, Herzrasen, kreisende Gedanken und erhebliche Minderwertigkeitsgefühle.

Ich bekam eine Überweisung zum Psychiater. Nach weiteren drei Monaten Wartezeit saß ich dann in seinem Sprechzimmer. Er stellte mir viele Fragen, um sich ein Bild von meiner Situation zu machen. Nach circa 20 Minuten kam ein Papier aus dem Drucker. Es war ein Rezept für ein Medikament. Ein Antidepressivum. Er teilte mir mit, dass ich für eine lange Zeit diese Kapseln einnehmen müsse und dringend eine Psychotherapie beginnen sollte. Was ich heute noch sehr erschreckend finde, war seine Aussage, dass ich wahrscheinlich mein ganzes Leben lang mit diesen Ängsten umgehen müsse.

Nachdem ich diese Medikamente dann circa drei Jahre eingenommen hatte und wie verordnet die Psychotherapie in Anspruch nahm, war ich frustrierter als zuvor. Von allen Seiten bekam ich zu hören, dass die Ursache meiner Angststörung erblich bedingt sei. Heute weiß ich, dass es anders war. Natürlich ist es so, dass ich vieles von meiner Mutter und den Großeltern übernommen und gelernt habe. Wie sollte es anders sein? Ich kannte ja nur das. Auch können Traumata, Alkohol und Drogenkonsum, körperliche Funktionsstörungen und tausend andere Dinge einen Einfluss auf das Gefühlsleben eines Menschen haben. Doch heißt das lange nicht, dass es die Ursache ist.

Nach vielen Jahren Selbstforschung wurde mir eine Sache klar. Angst und Panik lassen sich immer auf ein und dasselbe Thema zurückführen. Und jetzt seien Sie gespannt.

Angst- und Panikzustände entstehen immer dann, wenn wir etwas besitzen wollen und gleichzeitig feststellen, dass die Gefahr besteht, es doch nicht haben zu können. Vielleicht, weil man es uns wegnimmt. Es ist so verrückt und zugleich so simpel. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele:

  • Bei der Raumangst möchte man die Kontrolle über den Raum besitzen.
  • Bei der Höhenangst möchte man die Kontrolle über den Boden unter den Füßen besitzen.
  • Bei der Verlustangst möchte man einen anderen Menschen besitzen.
  • Bei der Existenzangst möchte man einen gewissen Lebensstandard besitzen.
  • Bei der Angst vor Ablehnung möchte man die Anerkennung von anderen und ein bestimmtes Selbstbild besitzen oder erhalten.
  • Bei der Angst vor dem Tod möchte man die Unsterblichkeit besitzen.
  • Bei der Angst vor der Angst möchte man die Freiheit besitzen.

Jetzt arbeiten wir uns einen Schritt tiefer. Etwas besitzen zu wollen, hat immer mit der eigenen Identität zu tun. Viele Jahre habe ich versucht, ein Bild von mir aufrechtzuerhalten. Ich wollte nach außen völlig angstfrei wirken, erfolgreich sein und von anderen Menschen anerkannt werden. Es war mein Wunsch, genau diese Identität zu besitzen. Da es in meinem Unterbewusstsein anders aussah, stand ich ständig in einem Konflikt mit mir selbst, ohne es zu merken. Es gab zu oft Situationen, in denen mir das Leben gespiegelt und gezeigt hat, wie es in mir aussah. Ich verlor Geld, Menschen, die mir wichtig waren und vor allem mich selbst. Das wollte ich aber nicht sehen. Die Wahrheit kratzte an meiner Identität, die ich mir aufbaute. Dieses Verhaltensmuster verursachte eine ständige Angst.

Aus dem Wunsch, eine bestimmte Identität zu besitzen, wurden Angst und eine tiefe Depression. Das bedeutet keineswegs, dass man nicht das Leben führen kann, das man sich wünscht. Im Gegenteil. Natürlich geht das. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es länger dauert, wenn man sich selbst bewusst oder unbewusst belügt. Wenn man weiß, wer man wirklich ist, dann kann man sich zu dem Menschen entwickeln, der man sein möchte. Und nicht andersherum. Die Ursache ist, dass Angst eine Gewohnheit ist, die man in Bezug auf sein Besitz- und Identitätsverhalten aufgebaut hat.

Hülsmeyer, R. (2021). Ich besiege die Angst (1. Aufl.). Mellontikos.