Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass Angst ein erlerntes Verhalten ist. Das bedeutet nicht, dass Sie dies bewusst gemacht haben. Es kann sein, dass es sich in Ihr Unterbewusstsein eingeschlichen hat, ohne dass Sie es bemerkt haben. In der Zeit, als meine Ängste am schlimmsten waren, hatte ich nachts einen unruhigen Schlaf. Ich bin morgens aufgestanden und war ständig gerädert.

„Ein Auslöser ist wie eine Playtaste. Wir geben damit den Startschuss zum Spielen der Musik.“

Hülsmeyer, Robert Dominic.

Zudem fühlte ich immer eine innere Kälte. Um mich halbwegs zu regenerieren, bin ich jeden Morgen zum Aufwärmen in eine 40 °C heiße Badewanne gestiegen. Tagsüber überkamen mich ständig Angstsituationen, Termindruck auf der Arbeit, unangenehme Fragen vom Chef sowie von Kollegen, die immer alles besser wussten und meine Identität aufkratzten. Was ich in dieser Zeit lernte war, dass es einen Unterschied zwischen der Ursache und den Auslösern von Angst gibt. Ich dachte immer, dass es das Gleiche wäre. So ist es aber nicht. Wenn die Ursache von Angst eine Gewohnheit ist, die man in Bezug auf sein Besitz- und Identitätsverhalten aufgebaut hat, dann hat man dadurch ein Programm im Unterbewusstsein.

Der Auslöser hingegen ist wie eine Abspieltaste an einem Musikspieler. Drücken wir darauf, dann wird die Musik gespielt und im Kontext der Angst wird somit das Angstprogramm ausgelöst. Das ist wie ein zweites Programm. Es steuert das Erste. Hier gibt es keine genaue Regel. Bei manchen Menschen kann es wie bei mir damals Stress sein, ein Trauma oder der nicht erfüllte Wunsch nach Anerkennung der unbewusst erfundenen Identität. Es kann aber auch etwas anderes sein, z.B. Erinnerungen, innere Stimmen oder autoritäre Menschen. Es hängt damit zusammen, womit wir unsere Angst emotional verknüpfen. Fast immer hat es mit einem unbewussten Gedanken zu tun.

Meine Frau, meine jüngste Tochter, mein Sohn und ich waren 2014 an der Ostsee. Wir haben dort in den Osterferien Urlaub gemacht. Da das Wasser am Strand noch sehr kalt war, gingen wir in ein großes Erlebnisbad, um etwas zu schwimmen. Meine Tochter war zwei Jahre alt und eine große Wasserratte. Mein Sohn war zu der Zeit acht Jahre alt und ein extrem cooler Bursche. Während meine Frau aufpasste, kletterte die Kleine immer wieder auf die 1,8 Meter hohe Rutsche. Sie setzte sich oben hin und wartete, bis die Mama im Wasser war und sie auffangen konnte. Sie hatten einen riesigen Spaß. Mein Sohn und ich genossen währenddessen den entspannteren Part am anderen Ende des Beckens. Wir lagen im warmen Wasser und sahen uns den Spaß der beiden aus der Ferne an. Dann passierte etwas, womit wir alle nicht rechneten. Meine Tochter kletterte die Leiter hoch und setzte sich brav hin. Meine Frau stieg ins Wasser, um sie beim Rutschen wie immer abzufangen. Meine Tochter stand jedoch wieder auf, rutschte aus, fiel seitlich an der Rutsche 1,8 Meter in die Tiefe und knallte mit dem Kopf auf die Fliesen. Sie schrie wie am Spieß. Wir eilten alle zu ihr. Meine Frau hob sie auf, beruhigte sie. Direkt neben dem Schwimmbad war glücklicherweise ein Krankenhaus. In Windeseile hasteten wir mit ihr darüber. Die ersten Untersuchungen gaben zum Glück schnell Entwarnung. Sie hatte am Kopf nur eine dicke Beule. Meine Frau und meine Tochter blieben dann zur Überwachung eine Nacht im Krankenhaus, während ich mit meinem Sohn zurück ins Ferienhaus fuhr.

Auf der Fahrt fing er bitterlich an zu weinen und machte sich Vorwürfe, dass er nichts tun konnte. Er sagte mir, dass er ständig diese Bilder im Kopf habe, wie seine Schwester dort heruntergefallen sei und er Angst habe, dass ihr irgendwann mal etwas Schlimmeres zustoßen könne. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon einige Jahre bewandert, was Ängste betraf. Mir war sofort klar, dass es sich nicht um einen natürlichen Angstzustand handelte, da die Bedrohung längst vorbei war. Durch die Schocksituation im Schwimmbad hatte sein Gehirn immer wieder unbewusste Gedanken in ihm ausgelöst. Das ist nach so einer aufreibenden Situation nichts Ungewöhnliches für einen Achtjährigen. Die Bilder beängstigten ihn, weil er ihnen geglaubt hatte. Hätte ich in diesem Moment nicht direkt auf ihn reagiert, dann wäre möglicherweise irgendwann eine größere Angst oder Panik daraus entstanden. Während wir aber noch im Auto saßen und zum Ferienhaus fuhren, machte ich mit ihm eine kleine Übung, die dafür sorgte, dass er nach wenigen Minuten keine Angst mehr hatte und völlig entspannt war. In der Nacht schlief er wunderbar ein. Auch viele Jahre später gab es keine schlechten Erinnerungen mehr an diesen Tag. Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was genau ich mit ihm im Auto für eine Übung gemacht habe. Im späteren Verlauf des Buches werde ich noch einmal darauf zurückkommen und Ihnen exakt verraten, was seinen Zustand so schnell veränderte. Es ist simpel und magisch zugleich.

Natürlich können auch andere Faktoren, z.B. Alkohol- und Drogenkonsum Angst- und Panikzustände auslösen. Ebenso bestimmte Medikamente und körperliche Einschränkungen wie eine Schilddrüsenunterfunktion, eine Herzerkrankung oder andere organische Erkrankungen. Diese Faktoren lösen die vorhandenen Programme jedoch fast immer nur aus. Sie sind meist nicht die Ursache. Öfters stellte ich fest, dass durch die Angst eher körperliche Schädigungen auftreten oder verstärkt werden als umgekehrt.

Hülsmeyer, R. (2021). Ich besiege die Angst (1. Aufl.). Mellontikos.